KiterIn (mit tränenerstickter Stimme und Taschentuch in der Hand): “Ich möchte mir Kitematerial zulegen, am Besten gebraucht, weil neu ist mir zu teuer. Aber ich weiß nicht, worauf ich achten muss und wo ich überhaupt suchen soll. Ich hab schon so viele Videos gesehen und Testberichte gelesen, aber da ist irgendwie jeder Kite super. Hach, hast du Tipps für mich, Domi? Mir stehen so viele Fragezeichen auf der Stirn :/”
So geht’s ganz vielen KiterInnen, die sich dazu entscheiden in eigenes Material zu investieren. Videos auf Youtube und die ganzen (gesponserten) Testberichte helfen einem nicht recht weiter und in die unsäglichen Tiefen von Kite-Foren, glaube mir, da möchtest du am Anfang nicht hin. Also was tun?
In diesem Artikel erzähl ich dir von meinen Erfahrungen und Erkenntnissen aus jahrelanger Recherche am Gebrauchtmarkt und was ich Menschen, die da stehen, wo du gerade bist, gerne für Tipps gebe. Das Ziel? Material finden, mit dem du dich gut fühlst und viel Spaß am Wasser hast und deine persönlichen Erfolge feiern kannst. Dieser wahre Kern scheint nämlich irgendwo in den Marketingabteilungen der Kite-Brands vergessen worden zu sein, dazu aber ein andermal.

Die w-fragen
Starten wir zunächst einmal mit einer Auffrischung aus dem Deutsch Unterricht. Wer kennt sie nicht, der Endgegner jedes Bild-Journalisten, die W-Fragen. Hat damals in keinem Schul-Bericht fehlen dürfen und auch jetzt sind sie unentbehrlich für uns.
WAS möchtest/brauchst du?
Bevor du überhaupt nach Angeboten Ausschau hältst, werd dir klar darüber, was du überhaupt möchtest von deinem Kite-Setup?
Stell dir mal folgende Fragen – möchtest du einen Kite, der gut Höhe fährt, easy zum Relaunchen geht, hoch springt, viel Hangtime hat, auch für Strapless geeignet ist oder von allem ein bissl was?
Möchtest du ein Board, das im Chop geschmeidige Bahnen zieht, guten Grip für hohe Sprünge bei mehr Wind hat, eine härtere Abstimmung für einen aggressiveren Pop oder doch eher was für Leichtwind, weil es bei dir am Spot zu 95% weniger als 15kn hat?
WO gehst du hauptsächlich Kiten?
Das WAS du brauchst hängt aber auch ganz stark vom WO ab? An welchem Spot kitest du, welchen Wind hat es da, ist es eher choppy oder hat es glattes Flachwasser?
Dann schmeiß noch dein Fahrlevel, deine Größe und Gewicht in den Topf und ehe du dich versiehst, bist du maximal verwirrt, haha. Keine Sorge, das wird schon, am Anfang hat jeder viele Fragezeichen auf der Stirn. Viele davon wirst du in 10 Minuten beantwortet haben.
Es gibt sehr viele Modelle bei Kites und Boards. Am besten wählst du am Anfang einen 3-Strut Allround Kite, der einen breiteren Einsatzbereich abdeckt. Den hat jede, wirklich jede Marke in ihrem Sortiment, weil die meisten Leute genau so etwas suchen, einen Fehler verzeihenden Allrounder für Twintip, Strapless und Foil. Später kannst du dich immer noch für etwas Spezielleres entscheiden, wenn du merkst, dass du z.B. mehr Strapless oder mit dem Foil unterwegs sein möchtest, oder es dich mehr in Richtung Big Air zieht.
Helfen können dir bei der Beantwortung dieser Fragen auf jeden Fall und das empfehle ich dir ganz dringend, fachkundige Personen, wie z.B. ein Kitecoach oder auch deine Schule, oft auch mit einem Shop vor Ort. Niemand wird dich mit der Hoffnung auf ein Geschäft (muss ja niemand wissen, dass du dann das Internet unsicher machst) abweisen. Und Locals wissen am besten, welche Setups für welche Fähigkeiten und Körpermaße an ihrem Spot am besten funktionieren.

„man sieht oft den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr“
Wo kaufe ich mein material?
Soda, wir kommen zum zweiten WO – die wichtigsten Verkaufsplattformen online
Orte im www, wo man Kites kaufen kann gibt es viele. Hier die wichtigsten für den deutschsprachigen Raum und eine kleine Perle, auf die ich unlängst gestoßen bin, wo es aber den Google-Übersetzer braucht.
ebay-kleinanzeigen.de: Sehr großes Angebot, easy Handling.
willhaben.at: Die Plattform mit der größten Reichweite in Österreich.
div. Facebook-Gruppen: Facebook ist schon alt, ich weiß, aber es lebt und man findet hier sehr oft sehr gute Angebote, weil abgesehen vom Marktplatz vor allem Verkaufsgruppe sehr aktiv sind:
Duotone Second Hand – Ozone Kite & Foil Used – Kitefoil & Hydrofoil Market – Kitesurf Marketplace – Lo Stagnone Kite Market – Kite, Kitefoil for sale – Kiteboarding Buy/Sell/Trade – KiteBay Used Kitesurf Equipment for sale – Used Kitesurf Gear Europe – Kitesurf Market – Kite Market Used Stuff – secondhandkites.com
…
adessokite.com: Sehr großes Angebot für Italien, man braucht halt den Google Übersetzer und etwas Geduld.
Worauf solltest du achten? Der Teufel steckt im Detail.
Das Optimum ist natürlich eine Besichtigung vor Ort. In einem Gespräch bekommt man auch ein besseres Gefühl für die Geschichte des Kites/Boards und was der Verkäufer zu erzählen hat. Ist das bei dir nicht möglich, dann sind aussagekräftige Fotos ein guter Anhaltspunkt. Die meisten Verkäufer werden dir deine Fotowünsche gerne erfüllen, also frag einfach nach.
Wovon ich gerne Bilder sehen möchte sind Gesamtaufnahmen, abgenutzte Stellen, die Leinen-Enden (damit bekommst du ein Gefühl anhand der Farbe und des Zustandes, ob der Kite wenig oder viel geflogen wurde), von der Abströmkante (die wird vom Tuch am meisten beansprucht), vom Tuch allgemein ein paar Schnappschüsse (Stichwort “Weißbruch”, siehe dazu weiter unten mehr) und falls vorhanden, natürlich von Reparaturen.
Fragen? Schreib uns...
Was ich noch wissen möchte, was auf Fotos nicht direkt ersichtlich ist…
Wie oft wurde das Material ca. geflogen/gefahren, wofür wurde es verwendet, für gemütliches Freeride Cruisen oder Hardcore Big Air mit Kiteloops und behält der Kite, auch über Nacht die Luft, ohne weich zu werden?
WIE sollte der Zustand sein, wo ist Vorsicht angebracht?
Gebrauchtes Material ist nicht neu, eh klar, aber es gibt Angebote, wo du genauer nachfragen oder nachschauen solltest, vor allem bei Kites, die Reparaturen haben und sehr oft (>30mal) geflogen wurden. Lass dich nicht vom Preis verleiten, es gibt Dinge, da leidet die Performance darunter.
Kleine Patches ohne Nähte sind wie kleine Beulen am Auto. Sie haben keinen Einfluss auf die Performance, ermöglichen aber einen größeren Verhandlungsspielraum, da mit einem Patch die Nachfrage rasant abnimmt.
Bei Rissen solltest du vorsichtig sein, da diese schon einen Einfluss auf die Flugeigenschaften haben können und du willst keinen Kite, der in eine Richtung zieht! Achtung bei Rissen über ca. 20cm, da würde ich unbedingt einen Testflug machen und der Preis muss halt auch stimmen.
Noch ein Punkt ist der berüchtigte Weißbruch, da muss ich ein wenig ausholen. Das Tuch eines Kites ist beschichtet, das sorgt einerseits dafür, dass sich das Tuch nicht gleich voll mit Wasser ansaugt, wenn der Kite im Wasser landet und auch für eine Steifigkeit im Tuch, die der Designer für die gewünschten Flugeigenschaften anstrebt.
Nach vielen Flugstunden kann diese Beschichtung brüchig werden und darunter leidet die Qualität des Kites, insbesondere dessen Flugeigenschaften (Strömung liegt aufgrund abgenommener Tuchspannung nicht mehr so sauber an) und das mindert den Wert. Es gibt Tücher, die schnell einmal nach Weißbruch aussehen (z.B. Harlem und Duotone), das ist aber kein Weißbruch, sondern eine Verfärbung der Beschichtung. Echter Weißbruch bedeutet ein echtes Aufbrechen und Abplatzen der Beschichtung.

Achte da vor allem bei Kites von Schulen darauf, die über eine Saison sehr viel einstecken müssen und oft aufs Wasser klatschen, wodurch das Tuch und die Nähte stark strapaziert werden. Man kann ein strapaziertes, nicht mehr ganz so straffes Tuch auch daran erkennen, dass beim Kite an der Abströmkante das Tuch “rattert” und es nicht mehr ganz straff ist, wenn der Wind drüber pfeift.
Board und Bar
Bei einem Board achte ich darauf, ob es tiefere Kratzer hat, die bis in den Holzkern gehen. Wenn ja, dann checke ich, ob das Holz bereits aufgequollen aussieht. Solche Cuts sollten unbedingt zuerst getrocknet und dann wasserdicht verschlossen werden.
Bei einer Bar sollten die Leinen getrimmt und somit gleich lang sein. Die Leinen selbst dürfen keinen Riss haben. Checke auch das Sicherheitssystem, Auslösen und das Vorrutschen der Bar MÜSSEN funktionieren.
Gibt es eine Chance zum Testen, dann ergreife Sie!
Was nicht so häufig vorkommt oder angeboten wird, was aber am meisten Sinn hat bei einem Kauf, wo das Weihnachts- und Urlaubsgeld drauf geht – Teste!
Das soll keine 3h Session sein, es reicht auch ein kurzer Flug am Strand um zu sehen, ob der Kite in eine Richtung zieht, oder die Bar schief ist und wie sich das Tuch verhält, liegt die Strömung sauber an oder “rattert” es schon ordentlich, wenn der Kite hin und her gelenkt wird. Vor allem aber spürst du, ob dir das Material auch liegt und du gut damit zurecht kommst.
Extra Tipps für Geduldige und Schnäppchenjäger
1. Der Preis-Drop
Kommt ein neues Modell, dann fällt der Preis vom “Alten”. Ein Kite, der 15x geflogen wurde, in einem super Zustand, kann bei Veröffentlichung einer neuen Version von einem Tag auf den anderen ein paar hundert Euro an Wert verlieren, weil auf einmal sehr viele Leute ihr Material auf die neueste Variante upgraden wollen, der Markt geflutet wird mit “alten” Kites und sich weniger Leute für die “alten” Sachen interessieren. Daher mein Tipp, warte auf den Release eines neuen Modells, denn Quantensprünge von einem Modell zum Anderen bleiben meistens aus und lieber die paar Euro extra, die dir bleiben, in die Entwicklung deiner Skills und Coaching investieren.
Eine ganz gute Eigenschaft, wenn man ein Schnäppchen ergattern möchte, ist Geduld. Wenn du ein paar Euro sparen möchtest und keinen Stress hast, dann warte auf das Einhorn, es wird kommen.
Ein Bisserl was geht immer 😉
Es gibt solche und solche, die einen schreiben ihren Kite mit Fixpreis aus, die meisten bieten aber doch Verhandlungsspielraum. In der Regel liegt dieser um 5-10% vom angegebenen Verkaufspreis. Fragen kostet nix 🙂
Sooo, das sind meine Tipps und Erfahrungen für den Gebrauchtmarkt.
Viel Spaß beim Stöbern und vor allem viel Spaß mit deinem neuen Material am Wasser und DANKE für deine Zeit 🙂
PS: Wer jetzt noch voll dabei ist und sagt, er hat noch nicht genug Hirnstimulation bekommen, für den habe ich noch ein paar spannende Fragen für den Kite-Stammtisch:
- Ist es notwendig, dass Firmen, aus der Getriebenheit ihrer Investoren, jedes Jahr ein neues Modell mit oftmals nur kleinen Änderungen, manchmal ist es ja nur die Farbe, raus bringen und somit jedes Jahr der Gebrauchtmarkt mit meistens noch einwandfreien Kites geflutet wird?
- Sind Kite-Modelle in jeder Iteration wirklich besser? Was bedeutet überhaupt besser, was in den Produktvideos häufig angepriesen wird? Hat man mehr Spaß damit, oder ist besser einfach 5% mehr Hangtime?
- Wie oft soll man sein Equipment durchtauschen, wann ist es überhaupt Zeit zu tauschen? Ist es wirklich notwendig, bei jedem neuen Modell gleich zu wechseln, obwohl das “alte” Zeug noch top in Schuss ist und man noch gar nicht weiß, ob das neue wirklich “besser” ist?